„Quäl dich du Sau“

24Std_013Wo könnte dieser in der Radsportgeschichte verewigte Spruch von Udo Bölts, wahrhaftiger sein als beim legendären Magura 24 Stunden Rennen im Duisburger Landschaftspark.
Man erinnert sich gerne an diesen Moment 1997, als man vor Aufregung mit feuchten Handflächen gebannt vor dem, damals höchsten 50cm Diagonale, Bildschirm saß und mit ansehen musste wie Jan Ullrich als Gesamtführender der Tour, auf der 18. Etappe in den Vogesen einen Hungerast bekam und schwächelte. Zack der Stecker raus und Strom weg. Die Füße von Jan standen schon unter Spannung um auszuklicken und aufzugeben.
Da kam er, wie aus dem Nichts, der Spruch von Teamkollege Udo Bölts: „Quäl dich du Sau“.
Und wie auf Befehl, löste sich damals die Spannung der Füße in den Klickpedalen und der Betrieb der Herz- Lungen Apparatur begann den Dienst wieder. Vor allem die eingeknickte Moral bekam einen deutlichen Schubs und neue Hoffnung. Viele Situationen im Ausdauersport werden doch immer wieder über die Stärke und Unbeugsamkeit des Charakters und der Moral entschieden.

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Neben allen taktischen Überlegungen aller 24 Stunden Fahrer und Teams, sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben während des Rennens immer auf die rechtzeitige Verpflegung zu achten um nicht irgendwann mit Hungerast oder Krämpfen stehen zu bleiben, und wenn es in der Nacht weh tut, die Stärke in Moral und Charakter zu haben, nicht direkt klein bei zugeben.

Vor allem wenn er kommt, der Scheiß Patex Berg, auch Monte Schlakko genannt. Dieses Mist Ding zermürbt einen Jeden, vor allem weil die Anfahrt jeden Biker auf fast null Geschwindigkeit runterbremst und man ohne Schwung in den Schlakko rein fahren muss und wenn man dann auch noch die Einfahrtskurve versemmelt, oder den falschen Gang drin hatte wurde es doppelt schwer mit Tempo und Druck den Drecks Berg mit seinen Wellen und Dellen hochzukommen. Jedes mal ein tiefes Durchatmen wenn man unter den Anfeuerungsrufen der begeisterten Zuschauer, klar hatten die Spaß in die Gesichter des Leidens zu gucken, das letzte Aufbäumen des Schlakko geschafft hatte, um in die Stunde für Stunde welligere Abfahrt Richtung Zielbogen zu fahren.

Wenn man von den immer höher werden Dellen auf der Abfahrt, richtige Kiesbalken lagen einem quer im Weg, in der Sorge es zerreißt einem das teure Carbon Gefährt, durchgeschüttelt unten ankam, musste man auch noch höllisch aufpassen die Zieleinfahrtskurve auf genau der richtigen Spur zu erwischen, wenn nicht, dann ging es erst einmal gerade aus in den Schotter und man würde unnötig wichtige, schon herausgefahrenen Sekunden wieder verlieren.

Wie oft mögen sich vor allem die Solofahrer immer wieder selber diesen Spruch aufgesagt haben, „Quäl dich Du Sau“, um sich zu motivieren und dran zu bleiben, wenn sie Runde um Runde über die maximal staubigen Schotterwege gefahren waren. Der Betreiber des Duisburger Landschaftsparks hatte, so scheint es, um die Winterschäden zu beseitigen, überall neuen Granulat Kies verteilt, der einem das Leben während der 24 Stunden so richtig schwer machen sollte. Jeder hatte bestimmt das Gefühl mit Staublunge irgendwann verenden zu müssen, nur ein Habub Sandsturm in der Sahara würde das wahrscheinlich noch toppen.
Vor allem in der Nacht war er richtig gut zu sehen, der Staub, der Nebel des Grauens. Es war nämlich so gut wie nichts zu sehen, wie durch eine Wand aus amorphem Material mussten die Lichtstrahlen und die Fahrer ihren Weg finden.

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Richtig rollen wollten die Stollenreifen, in meinem Fall, Schwalbe Racing Ralph mit 1,75 Bar, auf diesem Untergrund auch nicht wirklich, als gelte es magnetische Wiederstände zu überwinden. Gefühlt war es bedeutend schwerer als in 2014, als der große Regen alle Streckenabschnitte schön festgepappt hatte, schnelle Rundenzeiten zu fahren.

Immer und Immer wieder musste vor jeder Kurve das Tempo, wegen des losen Kieses, stark gedrosselt werden, und dann diese immer wiederkehrenden zermürbenden Antritte, vor allem in den Kurven auf dem Strava Segment Drückerpassage, um das Bike wieder auf Tempo zu bringen.
Um keinen Sturz zu riskieren musste man vor allem als Achtung Linksvorbei Fahrer mega konzentriert aufpassen um nicht von der optimalen Fahrspur abzukommen. Donnerte das Bike mit zu viel Speed in den aus Kies bestehenden Treibsand, rutsche einem sofort das Vorderrad weg, hohe Steuerkunst und Radbeherrschung war hier von allen Fahrern Runde um Runde gefragt.

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Wir vom cycletec-Centurion Team waren diesmal mit sage und schreibe mit drei Vierer Teams angereist um unseren Erfolg von 2014 zu wiederholen. Waren wir 2014 noch relativ unbekümmert an den Start gegangen, waren wir heute 2015 die zu schlagenden Titelverteidiger in der Kategorie Vierer Masters und Vierer Mixed Wertung. Alle Augen würden auf uns gerichtet sein. Unsere Zusammenstellung der Teams war eigentlich die gleiche wie in 2014 mit pro Team nur einer Änderung. Auch die Rundenstrategien waren eigentlich nicht groß verändert worden.
Die Rundenstrategien und die Rundenzeiten der eingesetzten Fahrer sind ja im Vorfeld der 24 Stunden Veranstaltung immer ein sehr großes Kettenfett Stammtisch Thema, jedenfalls bei den Bikern und Trainingstreffen in der Krefelder MTB Szene. Ob es nun besser ist mit zwei Runden, im Wechsel zwei auf drei Runden, einige Fahrer zwei, andere im Team drei oder vielleicht sogar vier, oder auch nur eine Runde zu fahren, ein endloser Gesprächsstoff während der Vorbereitungs- und Trainingsphase. Unser Team Professor hatte im Vorfeld alles schon genau durchgerechnet und mit Diagramen sichtbar gemacht. Durchhalten und Fahren musste man das jetzt nur noch. Exceltabellenracing!

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Pünktlich um 12:00 Uhr dann endlich der Startschuss bei herrlichstem Sonnenschein und hohen Temperaturen. Erst eine neutrale verkürzte Runde und dann ab ins Rennen. Und schon hatte unser Mixed Team um Sebastian Breuer zwei Runden Rückstand. Erwischt hatte unser Team das von Skyder deutlich strenger ausgelegte Regelwerk. Sebastian Breuer und Kai Exner, schon mit Rennfahrer Tunnelblick versehen, erwischten den falschen Startblock und wurden von einem Ordner bestätigt richtig zu stehen, sie hatten den Fehler dann auch nicht mehr bemerkt, die Transponder Zeitnahme allerdings dann schon.

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Als beide cycletec-Centurion MTB Teams dann aus dem ersten Stint zurück waren und die ersten Ergebnisse von Race Result kamen, war bei unserem Mixed I Team erst einmal deutliche Ernüchterung im noch aufgeräumten Fahrerlager Block U zu spüren. Team Vierer Masters war schon auf Eins geführt und Team Mixed I hatte Null Runden gefahren. Nach sportlich fairen Gesprächen mit der Rennleitung wurde Team Mixed I eine Runde wieder gutgeschrieben.
Und da war er wieder: „Quäl dich du Sau“, jetzt erst recht, die Runde holen wir uns auch noch zurück. Gegen Abend war der Runden Rückstand dann auch aufgeholt. Wie die Irren waren die Vier ihre nächsten Runden gefahren um den Rückstand einzuholen.

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Hatten die ersten Pausen in unserm Fahrerlager noch so etwas wie Kinderstube, jeder in der cycletec Team Family nutze anfangs noch eigene Teller, Gabeln und Gläser, veränderte sich dies Stint um Stint dramatisch, und endete bei einer gebrauchten Gabel in einem riesigen Topf mit kalten Nudel Bolognese Resten, der nur noch von Fahrer zu Fahrer weiter gereicht wurde. Dicht zusammen gekauert saßen die wachen Fahrer unter den aufgebauten Vorzelten in der Nacht, als wäre es mit Kuschelfaktor leichter auszuhalten. Getrunken wurde aus irgendeiner offenen Weizenbierflasche die so rumstand. Mein persönlicher Höhepunkt war so gegen drei Uhr morgens, Weizenbier, Marmorkuchen, ein Gel und ein, zwei Happen von einer schlappen Mettwurst, bevor es in den Wechselzonen Bereich zum Frieren ging. Echt Saukalt war es in der Nacht geworden und die feuchten Klamotten taten ihr Übriges.

Deutlich sichtbare Spuren hatten die vergangen 14-15 Stunden bei den Fahrern hinterlassen, so richtig entspannt sah in der  vollen Wechselzone keiner mehr aus. Dreckverschmierte Gesichter und staubige Klamotten, Duschen und der Sitz der Haare waren hier echt zweitrangig geworden.
Vollkommen erschöpft vom Schlakko und gezeichnet von den absolvierten Runden kamen die Teamkollegen in die Wechselzone, froh, endlich ihren Staffelstab loszuwerden um vielleicht noch eine Mütze Schlaf zu ergattern, bevor die Sonne wieder aufgeht und das 24 Stunden Finale anstand.

Endlich wieder die Sonne und der helle Tag. Stallgeruch, jetzt ist es gleich zu Ende, der letzte Stint und dann war es geschafft. 24 Stunden im Team mit Volllast blöde im Kreis gefahren. Warum tut man das? Freiwillig?

Im cycletec Masters Team nach 77 Runden und zwei Stürzen, einer davon etwas heftiger, beim Mixed I Team nach 76 Runden ohne Sturz oder Defekt hatten wir es geschafft. Für uns nach hartem Ringen gegen die Konkurrenz mit dem Sieg in beiden Klassen.

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Ohne den Zusammenhalt und das perfekte Team um, Am Limit Mareike Proosten, Intervall Susi Susanne Voll, AKW Kai Exner, Axel die Axt Specht, Manitou Harnit Luit, Rakete Sebastian Breuer, Cheffe Thomas Dinter, Strategie Ullrich Voll, Professore Constantin Verwiebe, Thomas der geht nich kapütt Schmitz, Happy Happy Patrick Anderle und da geht noch was Dominik Streek, hätte hier keiner etwas gewonnen.

Ob ich oder wir wieder an den Start gehen werden in 2016? Wer weiß das schon.
Was ich aber weiß, ich gehe mir eine Schaufel kaufen und trage den Driet Schlakko ab verteile ihn im Landschaftspark und stelle eine Gedenktafel auf, auf der dann steht, hier stand mal der „Driet Schlakko“. und Du quälst uns nicht mehr du Sau.

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Kommentare

  1. Hallo Thomas, ein sehr cooler Bericht…!!! In den Anstiegen hatte ich das Gefühl dabei gewesen zu sein.. Beine Beine zuckten schon richtig mit… Sehr tolle Fotos und zuletzt eine ,, GIGANTISCHE LEISTUNG ,, die Ihr hier alle vollbracht habt… Respekt und Glückwunsch

Responses to Harnit Luth

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